Stille als Vorbereitung auf die Ruhe des Geistes.
Damit das Leben von uns Menschen gut gelingt, damit wir Glück und Freude erfahren können, braucht es viele unterschiedliche Qualitäten und mannigfache Erfahrungen, die sich gegenseitig stützen und auch ergänzen: Lebendig-sein und Kreativität, Geistesklarheit und Achtsamkeit, Phantasie und Schöpferreichtum, Liebe und Mitgefühl. Alle diese Kräfte sind Qualitäten, die dem menschlichen Geist entspringen, die den universellen Charakter des Menschen veranschaulichen, ein Ebenbild Gottes zu sein. Doch diese göttlichen Befähigungen und Begabungen stehen uns Menschen nicht einfach – quasi von selbst – immer wieder zur Verfügung, sondern sie sind Früchte eines Lebensbaumes, dessen Wurzeln getränkt werden müssen durch das wiederholte Erfahren von Stille, durch das Erleben von Zeiten der bewusst empfundenen Ruhe und das beabsichtigte Teilnehmen an Pausen zwischen bestimmten Vorgängen.
Begriffsklärung: „Stille“ stammt von „stilli“ ab.
Das deutsche Wort „Stille“ stammt vom althochdeutschen Wort „stilli“ ab und bedeutet eine empfundene Lautlosigkeit, die Abwesenheit jeglichen Geräusches, aber auch Bewegungslosigkeit. In dem Verb „stillhalten“ erhellt sich diese Bedeutung in einer anderen Weise. Gegenbegriffe der Stille sind Geräusch, Lärm, Getöse und viele ähnliche Worte. Auffallend ist, dass es in der deutschen Sprache weitaus mehr Worte und Begriffe gibt, die das Gegenteil der Stille umschreiben als solche, die versuchen, Schweigen und Geräuschlosigkeit auszudrücken.
„Still sein“ ist eng verwandt mit dem Verb „stillen“.
Eng verwandt mit der Bedeutung von Stille ist das Verb „stillen“. Stillt eine Mutter ihr Kind, wird dieses ruhig, weil es sich angenommen fühlt in seinen körperlichen als auch emotionalen Bedürfnissen. Stillen des Kindes schafft sowohl für Mutter als auch für das Kind eine tiefe Befriedigung. Ist denn ein Kind gestillt, entsteht in diesem ein Geisteszustand, der den unbefriedigenden und leidvollen, von Hunger und Unwohlsein bestimmten, ablöst. Im Stillen mit Muttermilch füttert eine Mutter ihr Kind auch mit Stille.
Gestillt werden führt zu einem heilsamen und positiven Geisteszustand.
Zu diesem frühen Zeitpunkt erfahren Säuglinge den heilsamen und wohltuenden Charakter von Stille und Gestillt-Werden, was später im Leben leider verloren gehen kann. Denn da ist dem Erwachsenen oftmals kaum mehr bewusst, was Stille und Still-sein-können für seinen geistigen Bewusstseinszustand bewirken kann. Ist es doch offensichtlich, dass allein schon die sprachlichen und semantischen Bedeutungen von stillen und Stille auf heilsame Geistesqualitäten hinweisen, die eintreten, wenn Stille sich ausbreiten kann. Die Natur hat dem Menschen durch die Erfahrung, dass im Gestillt-werden seine Nahrungs- und Liebesbedürfnisse befriedigt werden, eine Botschaft zu Beginn seines Lebens mitgegeben, die entscheidend sein kann für die Art und Weise, wie dieser Mensch sein späteres Leben ausrichtet.
Wie kann Stille in unserem modernen Leben noch einen Ausdruck finden?
Ich frage mich jedoch, wie können Menschen zu einem Leben hinfinden, indem Still-sein-können, Schweigen-können und Ruhe-finden-können, zugelassen und ausgelebt werden kann? – Warum findet Leben von Menschen zunehmend in einer nicht mehr stillen Weise statt, sondern wird immer lauter? Man mag nur einmal an den Geräuschpegel in deutschen Schulen denken? – Formuliert man es drastisch, verweben sich im modernen Leben unablässig vielfältigste Aktionen und Handlungen, nicht enden wollende Geräusche, kreischender, gelegentlich auch schmerzhafter Lärm und gegenseitig sich übertönende Stimmen in einander.
Die Unruhe treibt viele Menschen zu einem unruhigen Handeln an. Gleichzeitig ist dies eine große Belastung für deren Gesundheit.
Heutzutage scheint dies mehr und mehr für viele Personen zu zutreffen. Immer mehr Zeitgenossen treibt es zu vielfältigen Aktionen und Handlungen, die auf unterschiedlichsten Geräuschen und ruhelosen Bewegungen basieren. Nur wenige sind motiviert, Plätze und Ort aufzusuchen, an denen es still ist, an denen Ruhe und Schweigen herrscht. Der Lärm unserer modernen Welt, dieses unaufhörliche Beschallt-werden mit auditiven und visuellen Reizen, ist für viele Menschen einerseits zu einem gängigen Tun geworden, andererseits aber auch zu einer großen Belastung. Nicht wenige werden durch den Mangel an Stille und Ruhe in ihrem Leben verstört und krank. Eine besorgniserregende Entwicklung für Menschen, die Lautlosigkeit und Abgeschiedenheit lieben! – Doch reicht es wirklich aus, nur im äußeren Umfeld Ruhe und Frieden zu suchen, ohne auch im eigenen Inneren, in seinem Geist Ruhe und Stille zu finden?
Nicht nur äußere Stille ist wichtig, sondern vor allem innere Stille, Geistesruhe genannt.
Ich meine, nein. Das erstere, die äußere Ruhe im Leben von uns Menschen ist wichtig, damit wir gesund bleiben und frei von Störungen und Durcheinander leben können. Eine Art äußerer Frieden! Doch um den Sinn des Lebens verwirklichen zu können, um die uns aufgegebene Lebensaufgabe zu finden und auch umzusetzen, braucht es mehr. Nicht nur außerhalb, sondern innerhalb seines eigenen Geistes sollte man Frieden suchen. Frieden im umfassenden Sinne – sowohl innerlich wie auch äußerlich – entsteht, wenn der Mensch geistige Ruhe findet. – Doch Geistesruhe! Was ist das und wie findet man sie?
Es geht um die Fähigkeit, Altes loszulassen, um sich für Neues zu öffnen.
Für diejenigen, die einen Weg der Meditation und Kontemplation einüben, geht es nicht so sehr darum, Stille nur in einem äußeren Umfeld entstehen zu lassen, sondern gefragt ist vor allem die Stille in unseren Gedanken und Gefühlen, das Schweigen in unserem Geist. Jesus nannte das: „Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes“ (Lukas 6, 20). Jesus lobpreist damit nicht materielle Armut, sondern die Fähigkeit zur Stille, die einerseits arm an Gedanken, Vorstellungen und Konzepten ist. Eine Fähigkeit, die immer wieder in der Lage ist, alle mentalen Konzepte und Bilder, alle geistigen Konstrukte und emotionalen Gefühlszustände loszulassen. Doch andererseits ist diese mentale Armut reich in ihrem geistigen Potential, in ihrem Offensein für Neues und bisher noch nicht Gedachtes. Da alte, verbrauchte Ideen und Vorstellungswelten gegen neue, phantasievolle Impulse und geistige Gebilde ausgewechselt werden können, wird so das kreative und schöpferische Potential des Menschen in umfassender Weise umgesetzt und verwirklicht. Mit dieser Aussage wird eine tief in uns wohnende Stille als Potential angesprochen, die uns etwas erlebbar machen kann, was eine bloße, äußere Stille in dem Maße nicht bieten kann.
Die Stille des Geistes bietet einmalige, geistige Qualitäten.
Äußere Stille ist ohne Zweifel sehr hilfreich und unterstützend, damit der kontemplative Weg zur inneren Stille ohne Hindernisse und Widerstände, bedingt durch Lärm und Unruhe, gegangen werden kann. Die Stille des Geistes jedoch bietet gleichwohl einmalige Qualitäten, die ein Mensch nicht nachvollziehen kann, der Geistesruhe nicht besitzt. Ihm ist das so fremd, wie ein kranker Mensch meist nicht mehr weiß, wie sich Gesundheit anfühlt.
Der gewöhnliche Geisteszustand wird von Verlangen und von Befürchtungen bestimmt.
Der gewöhnliche Geisteszustand wird ständig angetrieben von konditionierten Impulsen des Verlangens und der Gier einerseits sowie der Angst und Besorgnis andererseits. Diese Impulse bringen Menschen permanent in Bewegung und treiben sie in mannigfaltiger Weise zu oftmals mangelhaft durchdachten Taten an, die in Wirklichkeit Re-Aktionen sind, anstelle von echten, innerlich frei gewählten Tätigkeiten. Menschen reagieren dabei auf die unzähligen, von anderen gesetzten Impulse, sind aber selbst unfähig, aus innerer Freiheit zu agieren. Ihre Handlungen könnten ganz anders aussehen, wären sie nicht innerlich getrieben oder unfrei.
Geistesruhe ist ein Bewusstseinszustand, der innerlich nicht abhängig ist, sondern frei und ledig.
Bei Meister Eckhart, einem Autor der deutschen, christlichen Mystik des 11. Jahrhunderts entsteht innere, geistige Stille, wenn Menschen aus einer „abgeschiedenen Lauterkeit“ oder aus einem „ledigen Geist“ heraus handeln. In diesem Bewusstseinszustand der Abgeschiedenheit ist der Mensch innerlich ganz frei, sich zu bewegen oder still zu bleiben, zu handeln oder auf eine Handlung zu verzichten. Viele Mensch heutzutage kennen diese Freiheit nicht mehr. Sie sind konditioniert, sie müssen aus innerer Not heraus, aus einem Mangel an innerer, geistiger Freiheit heraus auf Impulse und Herausforderungen des Lebens in einer meist festgelegten, unfreien Weise regieren. Ihnen fehlt die innere Freiheit, auf eine Handlung zu verzichten, eine Tat zu lassen, aus wirklichen freien Stücken zu handeln oder nicht zu handeln, ein Wort zu sprechen oder auch zurück zu halten.
Geistesruhe öffnet innere Bewusstseinsräume, die einem Menschen, der Geistesruhe nicht besitzt, auch nicht zur Verfügung stehen.
Mangel an Stille und Geistesruhe, ein Geisteszustand, der von körperlicher Unruhe und Hektik erfüllt ist, verschließt und versperrt einem Menschen wesentliche Bereiche geistiger Erfahrungswelten. Wer jedoch in der Lage ist, seinen Geist, d.h. seine Gedanken zu sammeln, „gewinnt Erkenntnisse, zu denen der keinen Zugang hat, der zerstreut und zerfahren ist.“ (Buddha im Anguttara-Nikâya 3:7: kurze Sammlung). Oder: „Weil uns die zum Heil führende Geistessammlung unbekannt war, sind wir endlose Zeiten im Kreislauf der Wiedergeburten umher geirrt.“ (Buddha, Ang.-Nik. 4:1) Dies meint, der Mensch ist in einem einengenden System von Verhaltensmustern und Denkzwängen gefangen, die sich unablässig wiederholen und einander abwechseln.
Innere Stille ist in der Lage, sich nicht mit dem Fluss der Gedanken und mentalen Konzepte zu identifizieren.
Stille ist also nicht einfach nur eine Abwesenheit von bestimmten Klängen, Tönen oder anderen Geräuschen und Lauten, sondern Stille, wie sie z.B. in der Kontemplation bewusst erlebt wird, ist der verborgene Wesens- und Seelengrund für die Entfaltung bestimmter Bewusstseinszustände, die in Richtung Freiheit und Erwachen weisen und wirken. Dabei kann äußere Stille die in einer qualitativ anderen Tiefe wirkende, innere Stille unterstützend und stärkend umgeben. So können sich Fähigkeiten zur geistigen Ruhe intensiv ausbilden. Diese Ruhe erwirbt der Mensch, der sich von seinen Gedanken nicht zu innerlichen und äußeren Bewegungen verleiten lässt. Vielmehr vermag er es, körperlich in sich ruhend, den Fluss der Gedanken, Bilder und Gefühle, die in ihm ablaufen, aktiv anzuschauen, ohne von ihnen weggezogen oder weggeschwemmt zu werden. Nicht Identifikation mit den inneren, geistigen oder körperlichen Regungen ist hier gefragt, sondern die Distanz zu ihnen, die Nicht-Identifikation mit dem, was erlebt und gefühlt wird.
Das Bewusstsein der Geistesruhe versteht, dass der Gedanke nicht das „Ich“ eines Menschen ausmacht.
Wird diese Erfahrung, die da vonstatten geht, wirklich tief verstanden, kann sie den Menschen zu einem neuen Verständnis von sich und der Welt führen. Es entsteht ein neues Bewusstsein von sich selbst. Dieser Mensch begreift, dass nicht „Ich“ der Gedanke oder das Gefühl bin, was gerade sich in mir entwickelt und ausfaltet, sondern, dass Gedanke und Gefühl bloß in mir anwesend sind. Ähnlich wie in der Natur, da gehören Wolken auch nicht zu einem bestimmten Ort. Dieser spezielle Ort besitzt nicht die Wolken, die für einen kurzen Zeitraum darüber hinweg ziehen, sondern sie sind nur zu diesem Zeitpunkt über dieser Stelle einer Landschaft. Gedanken und sonstige geistige Regungen finden zwar in einem bestimmten Augenblick in einem Menschen statt, aber sie bilden gewiss nicht sein Ich. Gedanken sind konditioniert, sind abhängig, entstehen nicht aus sich selbst, sondern kommen letzten Endes von etwas anderem. Das, was ich bin, was ein Mensch von einer tiefen und weisen Sichtweise her gesehen existentiell ist, ist aus dem Blick seines Wesens etwas ganz anderes.
Meditation hilft uns in den Urgrund unseres Wesens zu schauen.
Von diesem Verständnis ausgehend, setzt das Ich einer Person sich nicht mit dem gleich, was sie denkt oder fühlt. Der mit dieser Klarsicht erfüllte Meditierende versucht „in allen Lebenslagen, seien sie gut oder schlecht, gelassen zu bleiben und ohne zu unterscheiden, über den Dingen zu stehen. Meditation ist, in den unbewegten Urgrund unseres Wesens zu schauen“ (Hui Neng). Gelingt dieses, ist ein Mensch innerlich still geworden. Durch diese ruhende Aufmerksamkeit zu dem, was sich in ihr abspielt, entsteht eine seelische Fähigkeit, in der alle Arten von ständig entstehenden Gedanken und emotional-geistigen Aktivitäten sehr bewusst wahrgenommen und verstanden werden, desweiteren losgelassen, so dass sie sich ändern können und sich in einem weiteren Prozess nach und nach auflösen können.
So wie Wolken sich am Himmel zeigen, so zeigen sich Gedanken an einem inneren geistigen Himmel.
In unserem Bild gesprochen, passiert dieses im Geiste wiederum ähnlich wie bei den Wolken am Himmel, die sich ständig neu bilden und für eine Zeit vorhanden sind. Auf ihrem Weg über die Landschaften der Erde verändern sie sich in unaufhörlicher Weise permanent, wechseln ihre Form und ihre Farbe. Im Licht der strahlenden Sonne werden sie aber mit der Zeit kleiner und lichter, werden in ihrer Dichtheit poröser und lösen sich irgendwann gänzlich auf und verschwinden. In ähnlicher Weise bestehen Gedanken und Gefühle, Ängste und Hoffnungen, Bilder und Abstraktionen, kreisen um sich selbst, zeigen sich so oder anders, und werden allmählich schwächer und verschwinden schließlich, wenn das Licht der ruhenden Bewusstheit, der geistigen Wachheit und entspannten Achtsamkeit in rechter Weise auf sie schaut.
Nicht-Anhaften ist die Grundlage für dieses andere Verständnis.
Verständlich wird das Ganze erst, wenn ein Mensch nicht an seinen Gedanken anhaftet und sich mit ihnen identifiziert. Ihm wird dann zunehmend bewusst, dass er nicht das ist und auch nicht zu sein hat, was ihm Gedanken suggerieren. Er versteht, dass Gedanken, ähnlich wie die Wolken am Himmel, an oder in seinem inneren, geistigen Himmel entlang ziehen und sich unablässig verändern. Einmal nimmt ein Gedanke diese Form und Struktur an oder jene Farbe oder Stimmung. Um sich einen Augenblick später wieder in einer ganz neuen Weise zu offerieren und zu zeigen. Ein Spiel in unendlicher Vielfalt und Faszination. Frei jedoch von Anhaftung an das, was er selbst kreiert, wird der Geist sehr kreativ in seinem Spiel mit den Gedanken und inneren Bildern. Und er wird frei, das ganze Spiel mit den Gedanken immer wieder auch los- und gehen zu lassen.
Nicht-Anhaften an inneren Bildern schafft innere Freiheit.
Ist ein Übender oder eine Übende in Meditation und Kontemplation auf diesem Weg in der Lage, den eigenen Geist zu beruhigen und auszurichten, werden die dem Geist innewohnenden Potentiale frei, sich zu entfalten. Gedanken und Bilder, Gefühle und körperliche Regungen entstehen nach wie vor. Aber da der zunehmend in sich ruhende Mensch nicht mehr so leicht dem Diktat der sich zeigenden geistigen Regungen unterliegt, entsteht eine wachsende, seelische Freiheit, sich anders zu verhalten als es die verwirrten, von Wallungen und Leidenschaften bestimmten Empfindungen und Gemütsbewegungen einfordern. „Wer frei (ist) von Begehren, Abneigung und Verblendung, dessen natürlicher Zustand des Geistes ist Sammlung.“ (Buddha, Samadhi-raja-sutra 37:29)
Geistesruhe bewirkt Einsicht, die zur Weisheit führt.
Wer nicht von seine Gedanken und Gefühlen beherrscht wird, also Geistesruhe besitzt, der- oder diejenige ist Herr des eigenen Geistes. Der Geist ist umso mehr zu innerer Einsicht fähig, umso mehr innere Stille verwirklicht ist. Beide Qualitäten, Geistesruhe und Einsicht, sind die Grundlagen der Weisheit. Wird nämlich innere Stille entfaltet und mehr und mehr verwirklicht, dann wird auch nach und nach der Geist gezähmt und geistige Fähigkeiten werden enthüllt. Das führt schließlich zur Überwindung des Begehrens, das eine der tiefsten Ursachen für Leid darstellt.
Weisheit löst Verwirrung und Begierde auf.
Ohne innere Geistesruhe ist der Geist nicht zu tiefer und tiefster Einsicht fähig. Ähnlich wie aufgewühltes, verschmutztes Wasser nicht tief blicken lässt, kann auch ein aufgewühlter, gieriger oder von Abneigungen erfüllter Geist nicht zu tiefem Verständnis und Weisheit gelangen. Wird Weisheit entwickelt, löst sich geistige Blindheit und Verwirrung auf. Ein Geist, der zutiefst ruhig sein kann und frei von Verwirrung in die Welt blickt, sieht die Realität so wie sie ist: frei von Anhaftung und Begierde, frei von Verlangen und Abneigung oder Hass, geläutert in den Gefühlen und klar in Ansichten, Meinungen und Einstellungen. Weise und ruhig geht ein solcher Mensch den Weg der Liebe, Klarheit und Offenheit zur Freiheit.
Der Weg zur inneren Stille und zur Weisheit setzt Disziplin, Geduld und rechte Anstrengung voraus.
Wir sehen, Stille im Geist, die Fähigkeit, tiefe geistige Ruhe zu entwickeln und zu entfalten, wirkt als Same, aus dem sich eine geistig-seelische Pflanze entwickeln und wachsen kann. Geistesruhe oder innere Stille ist die Frucht einer geistigen und seelischen Schulung, auf die sich jemand einlassen kann und die innere Verpflichtung und Disziplin voraussetzt. Wer diese Bereitschaft und den Willen dazu aufbringt, den notwendigen Weg geht und es mit allen Schwierigkeiten und Hindernissen auf diesem innerlichen Weg aufnimmt, wird irgendwann auch die köstliche und wundervolle Frucht der Geistesruhe ernten können. Wir brauchen für diesen Weg sehr viel Geduld und Ausdauer, Beharrlichkeit und rechte Anstrengung. So heißt es bei dem deutschen Mystiker Thomas von Kempten in der Nachfolge Christi: „Es gibt zwar viele, die sich die Gabe der Kontemplation wünschen; aber sie mühen sich nicht in dem, was dazu erforderlich ist“ (3:31). Ohne Streben und Bemühen ist dieser innere Friede, die Stille des Geistes oder auch Geistesruhe genannt, nicht zu haben.
Fotoquelle: Maria Clarissa Eitel